Dossier: Heimatrecht, Romehen und Zwang zur Sesshaftwerdung

Das Hau­sie­ren, also das Umher­zie­hen und Feil­bie­ten diver­ser Waren an bzw. direkt vor den Haus­tü­ren poten­zi­el­ler Kund­schaft, wurde im Laufe der Zeit gesetz­lich immer wie­der neu bewer­tet (→ Dos­sier: Jeni­sche als Händler:innen). Da man es von Sei­ten der Gemein­den (und des Staa­tes) aus ver­schie­de­nen Grün­den nicht gerne sah, dass sich poten­zi­elle Arbeits­kräfte auch halb-noma­disch ihren Unter­halt ver­die­nen konn­ten, ver­suchte man bald, die Sess­haf­tig­keit zur ein­zi­gen annehm­ba­ren Option zu machen. Nicht zu ver­ges­sen ist sicher­lich, dass die sess­hafte bäuerlich/bürgerliche Bevöl­ke­rung ihre Lebens­weise als über alle alter­na­ti­ven Daseins­for­men erha­ben betrach­tete – und über­aus bestrebt war, diese Über­zeu­gung auch dem Rest der Welt aufzuzwingen. 

So war der fah­rende Han­del mit diver­sen Waren nur dann legal, wenn die Han­deln­den einen soge­nann­ten Hau­sier­schein bzw. Hau­sier­pass oder eine Wan­der­ge­wer­be­ge­neh­mi­gung vor­wei­sen konn­ten. Um in den Besitz eines sol­chen Doku­men­tes zu kom­men, musste man aller­dings zuerst im Besitz des Hei­mat­rech­tes sein – ein per­fi­der Schritt, um Jeni­sche und andere wan­dernde Grup­pen zu erfas­sen. Dahin­ter steckte auch das Bedürf­nis, die ledig­lich ver­mu­tete und aber auch z.T. wohl tat­säch­li­che Kri­mi­na­li­tät fah­ren­der Volks­grup­pen ein­zu­däm­men bzw. bes­ser über­wa­chen zu kön­nen (→ Dos­sier: Ver­fol­gungs­ge­schichte).

Das Hei­mat­recht wurde, wenn nicht ver­erbt, unter ande­rem nur dann ver­ge­ben, wenn eine Per­son für min­des­tens neun Jahre in einer Ort­schaft ansäs­sig war oder eine Ehe mit einer bereits zur jewei­li­gen Gemeinde zustän­di­gen Per­son geschlos­sen wurde. 

Die Gemeinde hatte eine Für­sor­ge­pflicht für ihre “Schäf­chen” – sollte also ihre Armen immer­hin not­dürf­tig ver­pfle­gen, aber unter Umstän­den auch für „Schä­den“ auf­kom­men, die außer­halb der Hei­mat­ge­meinde von einem ihrer Schütz­linge ver­ur­sacht wur­den. Diese Unter­halts­pflicht wurde als christ­li­ches Ideal tat­säch­lich eini­ger­ma­ßen ernst genom­men: Ein Orts­rich­ter konnte bei gra­vie­ren­de­ren Ver­säum­nis­sen sogar selbst zu einer Haft­strafe ver­ur­teilt werden. 

Auch diese Wohl­fahrts­pflicht war eini­gen Gemein­den ein Dorn im Fleisch. Um es ins­be­son­dere mit­tel­lo­sen Per­so­nen zu erschwe­ren, sich dau­er­haft nie­der­las­sen zu kön­nen, gab es im Reich der Donau­mon­ar­chie so bald auch Hei­rats­ver­bote für Per­so­nen, die nicht über ein gewis­ses Ein­kom­men ver­füg­ten. Damit sollte ver­hin­dert wer­den, dass mit­tel­lose Men­schen das Hei­mat­recht über Nach­kom­men oder Ehe­part­ne­rin­nen wei­ter­ge­ben konnten. 

Doch als Überlebenskünstler:innen fan­den einige Jeni­sche ein Schlupf­loch in den Geset­zen des Habs­bur­ger­rei­ches. Sie pil­ger­ten nach Rom um sich vom Papst oder apos­to­li­schen Ver­tre­tun­gen höchst­per­sön­lich ver­mäh­len zu las­sen, denn das Ober­haupt der katho­li­schen Kir­che war nicht an die Gesetze der welt­li­chen Ord­nung gebun­den – zumin­dest nicht, wenn es um das Sakra­ment der Ehe ging. Die Hei­mat­ge­mein­den in Tirol muss­ten sich wohl oder übel dem Wil­len des Vati­kans beu­gen. Diese “Rome­hen” waren legen­där und wur­den in jeni­schen Fami­lien oft über Gene­ra­tio­nen hin­weg münd­lich überliefert. 

Je wei­ter die indus­tri­elle Revo­lu­tion vor­an­schritt, desto grö­ßer wurde der Druck auf fah­rende Han­dels­trei­bende. Man­che Unter­neh­men fühl­ten sich vom Han­del der Jeni­schen bedroht, als sess­haf­ten Geschäfts­leu­ten sollte ihnen auch das Mono­pol auf diverse Han­dels­wa­ren zuste­hen. Die­sem Argu­ment folgte der Staat offen­bar: die Auf­la­gen für Hau­sier­scheine wur­den immer stren­ger, außer­dem wurde gere­gelt, wel­che Waren ver­trie­ben wer­den durf­ten, oder viel­mehr, wel­che nicht. 

Von der jahr­hun­der­te­lan­gen Drang­sa­lie­rung und Ver­fol­gung, aber auch von der stän­di­gen Armut und dem Über­le­bens­kampf resi­gniert und trau­ma­ti­siert, ent­schie­den viele Jeni­sche, einen Schluss­strich zu zie­hen. Mit dem Auf­kom­men von Mas­sen­ware, Fließ­band­fa­bri­ken und deren stän­di­gem Hun­ger nach fri­schen Arbeits­kräf­ten fan­den viele zuvor auf das Fah­ren ange­wie­sene Men­schen eine feste Arbeit, die das Umher­zie­hen end­gül­tig über­flüs­sig machte. 

So konnte auch der stän­di­gen Aus­gren­zung oft ein Ende gesetzt wer­den: Mit der Annahme eines sess­haf­ten Lebens­stils und nicht sel­ten auch eines neuen Fami­li­en­na­mens wur­den die Jeni­schen für ihr Umfeld plötz­lich zuneh­mend unsicht­ba­rer (→ Dos­sier: Ver­ste­cken, Ver­schwei­gen, Assi­mi­lie­ren).

Die­ser Pro­zess wurde schließ­lich im Natio­nal­so­zia­lis­mus zur Spitze getrie­ben. In Tirol gibt es heute keine fah­ren­den Jeni­schen mehr.

Heimatrecht, Romehen und Zwang zur Sesshaftwerdung

His­to­ri­sche Erwäh­nung einer Romehe

Ver­zeich­nis der Fami­lie Tho­mas Schie­ner und Katha­rina Mayr im Fami­li­en­buch der Gemeinde Mils. Darin ver­merkt sind die 8 Kin­der und 1 Enkel mit Geburts­or­ten und -daten, sowie die Romehe der Eltern am 23. Mai 1847. Außer­dem der Ver­merk: „Diese Fami­lie befindet

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Heimatrecht

Peter Von­stadl: Schwarzbau

Peter erzählt von sei­nen Onkels, die gezwun­gen waren außer­halb der Ort­schaft Hai­ming eine Hütte zu errich­ten, um über­haupt einen Wohn­ort zu haben. Dort hat ein Teil sei­ner Fami­lie gelebt, bis schließ­lich ein Auto­bahn­pro­jekt das Gebäude zu Grabe trug.

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Heimatrecht

K. u. K. Hausierpatent

Ein sog. „Kreis­schrei­ben“ an die Gemein­den bzw. Domi­nien der Donau­mon­ar­chie, ein wach­sa­mes Auge auf die Trä­ger von Hau­sier­pa­ten­ten zu werfen.

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