In dieser Sammlung von Artikeln über den Vorarlberger Landwirt Ernst Hagen geht es nicht explizit um eine jenische Person oder um „das Jenische“ im Allgemeinen. Im Archiv trotzdem ausgestellt wird dieser Beitrag, weil es ein sehr deutliches Licht auf die kulturellen Kleinlichkeiten wirft, die in manchen Fällen zu unverhältnismäßig extremen Reaktionen, im schlimmsten Fall sogar zu Übergriffen führen können.
Passend für das Archiv ist allerdings, dass diese Ausschnitte einerseits im Nachlass von Romedius Mungenast entdeckt wurden und anderseits aber bekannt ist, dass auch Jenische in der Vergangenheit Hunde- und Katzenfleisch verzehrten. Ebenso ist bekannt, dass gewisse Teile der Tiere zu traditioneller (!) Medizin weiterverarbeitet wurden – die eben nicht nur bei den Jenischen begehrt war! Und wenn die Not groß war, wie etwa während und nach den Weltkriegen, wurde auch in den bäuerlichen Haushalten auf diese Tiere zurückgegriffen, um den Hunger zu stillen.
Darüber hinaus ist das Einhalten von Speisegeboten eine recht häufige Form von kultureller und sozialer Abgrenzung. Essgewohnheiten signalisieren nicht nur Zugehörigkeit und kulturelle Identität, sondern sind oft auch Teil der ethischen bzw. religiösen Vorstellungen von „Richtig und Falsch“. Das ist bei der koscheren Ernährung von gläubigen Juden nicht viel anders als bei Anhängern des modernen Veganismus. Essen ist nicht zuletzt und auch nicht grundlos ein zutiefst emotionales Thema.
Wie empfindlich Menschen auf eine Verletzung solcher kulturellen Gefühle reagieren, zeigt sich bereits in der Sprache und dem Arrangement der zwei vorangehenden Artikel: In herablassender Sprache wird dort ein Mann porträtiert, den man, unverschämt zynisch, mit seinen „Opfern“ posieren lässt. Die Artikel generierten erwartungsgemäß ein wenig herzliches Feedback: Ein Teil der Leserschaft war völlig entsetzt über die Essgewohnheiten des Ernst Hagen, der ansonsten als unbescholtener Bürger galt. Die Wut ging so tief, dass dem Landwirt, der die Tiere noch nicht einmal aus reinem Eigeninteresse schlachtete, der Status eines „guten“ Menschen entzogen wurde: „Wer so etwas isst, ist selbst schuld.“ Und wenn es nach einigen Personen gegangen wäre, dann hätte man ihm deswegen wohl auch eigenhändig seiner Existenz beraubt.
Kollektiver Feindseligkeit ausgesetzt zu sein, nur weil man anders is(s)t – ein Lied, das sicher vielen Minderheiten allzu bekannt sein dürfte.
In diesem Fall stellt sich auch die Frage: Muss Kultur immer Vorrang haben? Hat sie immer „Recht“? Warum eigentlich ist es okay, ein Lamm oder ein Kalb zu töten und zu essen – einen Hund oder eine Katze aber nicht? Sind manche Lebewesen weniger (liebens)wert als andere? Und ist die Verachtung und Ausgrenzung des „Anderen“ immer allein dadurch zu rechtfertigen, dass es „bei uns halt immer schon so war“ und man daher nur die eigenen Traditionen diktieren lässt, was als „anständig, gut, normal und ehrbar“ gilt?