Dossier: Jenische als Händler:innen

Die Lebens­weise der Jeni­schen war eng mit ihrer Erwerbs­tä­tig­keit als Han­dels­trei­bende ver­bun­den. Bevor auch das letzte Sei­ten­tal im Sei­ten­tal infra­struk­tu­rell erschlos­sen wurde, waren jeni­sche Händler:innen oft die Ein­zi­gen, die neue Waren, Dienst­leis­tun­gen oder Nach­rich­ten aus den ent­fern­ten Ecken der Welt in die oft abge­le­ge­nen Ort­schaf­ten brach­ten (→ Dos­sier: Die semi-noma­di­sche Lebens­weise).

Auch wenn man ihnen häu­fig mit Miss­trauen begeg­nete, die Han­dels­gü­ter und Dienst­leis­tun­gen der Jeni­schen waren begehrt. Sie brach­ten Zitrus­früchte aus dem Süden, ver­trie­ben Por­zel­lan­wa­ren, Geschirr und Tex­ti­lien. Sie floch­ten qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige Körbe, schlif­fen Mes­ser und Sche­ren, flick­ten Kes­sel und Schirme, ban­den Besen oder hal­fen bei kör­per­li­chen Arbei­ten am Hof aus. Man­che han­del­ten mit leben­den Wild­vö­geln, Hun­den oder Kat­zen – und ver­kauf­ten die bei den Sess­haf­ten begehrte Medi­zin, die aus die­sen Tie­ren her­ge­stellt wurde, wie etwa Hun­de­talg, der gegen Bron­chi­tis hel­fen soll. 

Als fähige Geschäfts­leute oder Handwerker:innen waren Jeni­sche beim einen oder ande­ren Haus­halt durch­aus gerne gese­hen und in der Form soge­nann­ter „Hau­sier­li­zen­zen“ wurde ihnen die­ses Dasein der­einst sogar offi­zi­ell ver­brieft. Doch je mehr auf­kei­mende Betriebe jeni­sche Händler:innen als Kon­kur­renz betrach­te­ten und die Ämter mit ihrem Unmut adres­sier­ten, desto beschwer­li­cher wurde es für Jeni­sche, sol­che Lizen­zen zu erlan­gen bzw. diese zu behal­ten (→ Dos­sier: Hei­mat­recht, Rome­hen und Zwang zur Sess­haft­wer­dung). Das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ter­ror­re­gime setzte schließ­lich daran, die­ses jahr­hun­der­te­alte Recht der Fah­ren­den kom­plett abzu­schaf­fen (→ Dos­sier: Ver­fol­gungs­ge­schichte).

Spä­tes­tens in den 50er-Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts, als die Ver­kehrs­er­schlie­ßung Tirols abge­schlos­sen war, das Auto immer mehr zum Inven­tar eines Haus­hal­tes gehörte und der Kapi­ta­lis­mus mit sei­nen Mas­sen­pro­duk­ten auch die letzte Markt­ni­sche erschlie­ßen konnte, war es mit der Bedeu­tung der Jeni­schen als Händler:innen, Handwerker:innen oder Verbreiter:innen von Nach­rich­ten mehr oder weni­ger vor­bei. Einige wenige, die als Kin­der noch mit ihren Eltern auf tra­di­tio­nelle Weise unter­wegs gewe­sen waren, hiel­ten bis in die 1980er-Jahre an die­sem Erwerbs­mo­dell fest. Mitt­ler­weile in der Regel sess­haft gewor­den, fuh­ren sie nun meis­tens selbst moto­ri­siert umher, kauf­ten ihre Pro­dukte bei Großhändler:innen (oft auch deren Rest­pos­ten), ver­ar­bei­te­ten diese nach Bedarf und ver­trie­ben sie im Anschluss. 

Jeni­sche, die sich ihren Lebens­un­ter­halt auf diese Art ver­die­nen, gibt es noch heute. 

Allgemein

Foto­gra­fien eines Karrens

Eine Nach­emp­fin­dung eines ein­ach­si­gen Zug­kar­rens samt Inhalt, wie ihn viele Jeni­sche besa­ßen. Das Expo­nat ist eine moderne Inter­pre­ta­tion und im „Vuseum“ in Schlu­derns zu besichtigen.

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